30 km - 917 HM
Nachdem ich relativ früh aufgestanden bin (Kälte und so), schaffe ich die ersten 10 Kilometer ganz locker noch vor 9 Uhr und komme in den großen Genuss, das Tageserwachen in den Bergen zu
erleben.
Der Weg nach Steeg ziiieht sich. Das hätte ich gestern nie im Leben geschafft! Für eine halbe Ewigkeit geht es bergab. Ich bin "wildnismüde" und sehne mich nach einem Zeichen der Zivilisation.
Außerdem habe ich Hunger. Geplant war ja eigentlich, dass ich mir beim Aufbruch noch ein paar Haferflocken koche, aber dazu war ich zu... faul. Und vielleicht auch noch ein bißchen zu müde. Der
Deal mit mir selbst lautet: In Steeg gibt's Frühstück. Und dann will und will das Dorf einfach nicht auftauchen! Als ich es schließlich doch nach einer gefühlten Ewigkeit um kurz nach 9 Uhr
erreiche, steuere ich zielstrebig die erstbeste Möglichkeit für ein Frühstück an. In der einfachen Imbissstube werde ich etwas ruppig empfangen . Frühstück gibt's nicht, dafür rauchende
Einheimische am Stammtisch. Mißmutig verkrümele ich mich auf die Terrasse. Aber dann gibt's einen herrlichen Germknödel für nur 5 Euro, der meine leeren Energiespeicher postwendend auffüllt,
meine Stimmung deutlich hebt und mich für den Rest des Tages versorgt.
Derart gestärkt geht es weiter. Im Wald holt mich ein Wanderer ein, der ähnlich flott unterwegs ist wie ich. Die nächsten Stunden laufen wir gemeinsam - mal fröhlich plaudernd, mal schweigend,
wenn der Weg unsere ganze Aufmerksamkeit braucht. So erfahre ich eine ganze Menge über ihn - dass er aus dem Hunsrück kommt, 3 Kinder hat, dass die Älteste 23 Jahre alt ist und noch zu Hause
wohnt, usw. usw. Nur für eines bleibt irgendwie keine Zeit - uns gegenseitig mit Namen vorzustellen. Ich finde es unglaublich entspannend, ein Stück des Weges mit meinem namenlosen Begleiter
zurückzulegen. Denn obwohl ich seinen Namen nicht kenne, merke ich: Wir liegen auf der selben Wellenlänge.
Von Steeg bis Holzgau geht es zunächst einmal ganz entspannt direkt am Lech entlang. Es sind deutlich weniger Wanderer unterwegs als noch am Tag zuvor am Formarinsee oder auf dem Weg nach Warth.
Als der Weg nach Holzgau abbiegt, passieren wir eine kleine Scheune, an der ein findiger Geschäftsmann (oder eine findige Geschäftsfrau) selbstgemachte Schlüsselanhänger mit Lechkieseln anbietet.
So eine schöne Idee!
In Holzgau geht es dann erstmal wieder bergauf, hinauf zu einem herrlich wilden Wasserfall. Direkt am Wasserfall entlang bzw. über diesen hinweg führt ein Klettersteig. Ich beschließe, dass ich
hier unbedingt noch einmal mit meiner Familie herkommen muss, denn das sieht eindeutig nach Spaß aus. Auch nachdem wir den Wasserfall passiert haben, bleibt der Weg steil. Wenn man einen
kleinen Umweg in Kauf nimmt, könnte man noch eine Hängebrücke begehen, aber nachdem diese in die Gegenrichtung führt, sehe ich darin keinen rechten Sinn und folge lieber dem Lechweg flussabwärts.
Überhaupt scheinen die Österreicher ein Faible für Hängebrücken zu haben, denn auch in der Nähe von Reutte gibt es eine ähnliche "Attraktion".
Wir wandern durch eine unwirklich schöne Landschaft wie aus dem Bilderbuch. Das Panorama, das sich immer wieder vor uns auftut, entschädigt für den Weg, der nur schmal ist und über Stock und
Stein führt. Erneut führt der Lechweg nicht am Lech, sondern in einiger Höhe über dem Lechtal entlang. Die Sonne taucht Berge und Wiesen in strahlendes Licht. Mir ist warm und ich bin
verschwitzt, aber mein Trinkkonzept erweist sich als der Hitze überlegen: Entgegen meiner Angewohnheit, mindesten 1 Liter Wasser bei mir zu haben ("Durst ist schlimmer als Heimweh"), habe ich
diesmal "nur" eine 0,5 Liter Flasche dabei. Nachdem aber (fast) auf Schritt und Tritt sauberstes Trinkwasser verfügbar ist, bleibe ich oft einfach stehen, trinke die Flasche aus und fülle sie
postwendend wieder auf. So habe ich immer genügend Wasser bei mir und bin nie durstig.
Als wir am Nachmittag Bach erreichen, trennen sich die Wege von mir und meinem Begleiter aus dem Hunsrück. Er möchte die Nacht in Bach verbringen, mich zieht es weiter Richtung Elbigenau. Auf der
Karte habe ich entdeckt, dass es dort direkt am Lechweg ein Freibad gibt - ein Geschenk bei dieser Hitze! Und so ziehe ich erneut allein weiter. In einer knappen halben Stunde erreiche ich das
Bad, kann mich erfrischen und meine und die Akkus meines Smartphones bzw. meiner Powerbank wieder aufladen.
Gegen 18 Uhr ziehe ich weiter. Ich passiere Elbigenau und beschließe, mir vor Einbruch der Dämmerung im Wald eine Bleibe zu suchen. Nachdem die letzte Nacht kurz war und der Weg lang, bin ich
müde und erschöpft. Die Suche nach einem passenden Platz gestaltet sich jedoch schwieriger als noch am Tag zuvor. Ich möchte gern von den Blicken anderer Wanderer verborgen bleiben, obwohl immer
weniger Leute unterwegs sind, je weiter der Weg lechabwärts führt. Nach einigem Suchen finde ich schließlich einen brauchbaren Platz im Wald, leicht abschüssig, mit Blick auf das angrenzende Dorf
und gerade weit genug vom Weg entfernt, um von dort aus nicht entdeckt zu werden. Leider gibt es keine gute Möglichkeit, den Esbit-Kocher zu platzieren - Feuer auf dem trockenen Waldboden möchte
ich lieber nicht riskieren. So fällt das Abendessen eben aus. Geprägt von den Erfahrungen der letzten Nacht ziehe ich meinen Biwak-Sack über meinen Schlafsack. Das hält tatsächlich schön warm,
und schon bald falle ich in einen unruhigen Schlaf.